Das Kundenerlebnis im Zeitalter der Algorithmen

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Das auf Food-Retail spezialisierte Büro Supernormal berichtet über aktuelle Trends inmitten der neuen Corona-Vorschriften und über den Einfluss mobiler Geräte auf die Planung.

Der von Covid-19 verursachte Notstand verlangt präzise Protokolle für die Nutzung öffentlicher Bereiche, die hauptsächlich aus Abstands- und Hygieneregeln bestehen. Die Corona-Krise führte, anders als man vermuten könnte, nicht so sehr zu neuen Trends, sondern beschleunigte vielmehr bereits vorhandene Entwicklungen. „Im Food-Retail verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen physischem und virtuellem Raum,“ meint das Mailänder Büro Supernormal, das seit vielen Jahren Restaurantketten ab einer Größe von 3 bis 4 Filialen plant. „Das Kundenerlebnis läuft inzwischen auf mehreren Kanälen ab. Daher gilt es, seine so genannten physischen und digitalen ‚Touch-Points‘, den Besucherstrom im Geschäft, die Zahlungsformen und den ‚Kundenzyklus‘ bis hin zu den Dienstschichten zu analysieren. Gemeinsam mit den Angaben zu Geschlechter- und Altersverteilung oder Konsumverhalten der Kunden fließen diese Informationen in das entsprechende Projektbriefing und sogar in die Angebotserstellung ein. Selbst die optimale Warenanordnung im Regal lässt sich aus den Daten ermitteln. Zugänglich sind diese Informationen über die mobilen Geräte, die jeder bei sich trägt, oder über Überwachungskameras.

Doch damit hat es noch nicht sein Bewenden. Für eine Marke, die Unterhaltungslokale und Wettbüros betreibt, haben wir Heatmaps für die optimale Aufstellung der VLT-Geräte verwendet. Die Geschlechteranalyse hingegen, die einen männlichen Besucheranteil von 85 % ergab, bewirkte eine technologieorientierte Raumgestaltung. Wichtig ist, dass dem ‚Werteversprechen‘ der Marke der physische Raum gerecht wird. Und diesem wiederum eine Verkaufsstrategie. Sogar die Bequemlichkeit der Sitzgelegenheiten ist auf die vorgesehene Aufenthaltszeit der Gäste im Restaurant abgestimmt.

Freilich reicht es nicht, allein die optischen Aspekte der Raumgestaltung zu berücksichtigen. Der Raum muss mit Analysetools getestet werden, weil sich aus jeder einzelnen Entscheidung Folgeentscheidungen ergeben, von Interior-Design und Gestaltung bis hin zum Speisenangebot.

Die emotionale Ansprache hat eine wichtige Hebelfunktion. Selbst dieser Aspekt ist ein wissenschaftlicher Faktor. Die Reaktionen der Verbraucher können durch Farb- oder Materialoptiken, Düfte oder Beleuchtungen bedingt werden. So beeinflusst etwa das Lichtdesign den Tagesrhythmus oder die Ausschüttung von Wohlfühlhormonen wie Dopamin oder Kortisol. Nicht weniger von Bedeutung ist die Klangkulisse. Wir reden hier nicht von Alchemie, sondern von messbaren physischen Werten und Raumvarianten, überwacht von Sensoren, die das Kundenverhalten ermitteln.“

Der aktuelle Gesundheitsnotstand beflügelte die Food-Lieferdienste.  Bereits vor dem diesjährigen Februar befanden sich die „virtuellen Restaurants (oder Ghost-Kitchens), die nur Lieferessen produzieren, auf einem starken Wachstumskurs“. Das Food-Retail-Segment bewegt sich in Richtung Nachbarschaft: engmaschig über das Land verteilte lokale Supermärkte oder Lieferdienste, deren so genannte ‚Markenpräsenz‘ mehrkanalig zu planen ist.“

Über Supernormal

Supernormal wurde 2019 in Mailand von Giuseppe Leida und Paolo Cazzani für die Planung von Interieurs, Marken und Objekten für Retail, Arbeit und Kultur an der Schnittstelle von Architektur, Design und Kommunikation gegründet. Beide Gründer sind Architekten. Leida gründete 2003 das Büro GLA (Giuseppe Leida Architetti), Cazzani hingegen 2001 die Werbeagentur Spotbreak. Seit 2009 erarbeiten sie gemeinsam Projekte für die Food-Retail-Branche u. A. für Panino Giusto, Spontini, Saquella und Espresso Club.