Ein permanentes Kunstwerk für den öffentlichen Raum, die ersten, die auf großen Keramikplatten realisiert wurden, das die Kunst auf die Straße bringt und allen Menschen täglich zugänglich ist: das 16 m hohe und 6 m breite keramische Fotomosaik besteht aus 12.000 von den Einwohnern eingesendeten Fotos.
Die Herstellung der keramischen Fliesen für das Wandbild – die dreißig Platten sind jeweils Unikate und fügen sich zu einem großen Bild – erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Fliesenspezialisten Marazzi, bei dem Fontcuberta während der Produktions- und Druckphase zu Gast war. Mit der Planung und Montage des Werkes auf einer hinterlüfteten Fassade beauftragte die Stadtverwaltung von Reggio Emilia, die die Neugestaltung des gesamten Areals veranlasste, die Konstruktionsabteilung Marazzi Engineering.
Das Kunstwerk schlägt eine Brücke zu den Kollektionen, die in den Museen von Reggio Emilia aufbewahrt werden und Kenntnisse, Forschungen, Entdeckungen und Experimente bündeln, bei deren Entstehung Neugier und eine natürliche Fähigkeit zum Erstaunen Pate standen. „Curiosa Meravigliosa“ ist ein „Dokument-Monument“, wie es der Künstler definiert, ein kollektives Kunstwerk, das sich mit der Bedeutung der Fotografie in einer Region auseinandersetzt, die seit etlichen Jahren – unter dem Einfluss des Schaffens von Luigi Ghirri und des Festivals „Fotografia Europea“ – ihre Nutzung und mannigfaltigen Abwandlungen hinterfragt.
Der Pfau in hoher digitaler Auflösung ist auf dünnen Großformaten aus Feinsteinzeug ausgeführt, die durchweg Unikate sind und sich zu einem Bild in der Größe 16×6 m fügen. An der Herstellung wirkten das Entwicklungslabor und die Fabrik von Marazzi mit, wo Joan Fontcuberta während der Vorbereitungs- und Druckphase zu Gast war. Die hinterlüftete Fassade, die dem Werk als Untergrund dient, wurde schlüsselfertig von Marazzi Engineering ausgeführt.
Wir haben mit dem spanischen Künstler über den Entstehungs- und Herstellungsprozess von „Curiosa Meravigliosa“ gesprochen und hierbei auch mehr von seinem wachsenden Interesse für keramische Drucktechnik erfahren.
Im Werk „Curiosa Meravigliosa“ fügen sich 12.000 Fotos zu einem einzigen großen Bild, dem der Pfau aus der Kollektion Vallisneri als Vorlage diente. Warum gerade dieses Bild? Was bedeutet es?
JF: Der Pfau kommt in etlichen Mythen vor und ist eine symbolträchtige Figur. Er steht im Zusammenhang mit Weisheit, Neugier und Schönheit. Das sind auch die natürlichen Werte eines Museums, das Naturwissenschaften und Kunst unter einem Dach vereint. Bei den alten Griechen galt der Pfau als der heilige Vogel der Zeusgattin Hera. Der Sage nach ließ die Göttin ihren ehebrecherischen Mann von Argus bewachen, doch der Herrscher des Olymp tötete ihn. Daraufhin setzte Hera die hundert Augen des Argus zu seinem Gedenken auf den Schweif ihres Lieblingstiers. Bei diesem Kunst- und Fotoprojekt stellen die Augen die Bedeutung des Sehens als Quelle der Erfahrung heraus.
„Curiosa Meravigliosa“ stellt einen Bezug zwischen allen betroffenen Raumelementen (Platz, Grünfassade und Keramikfassade) her. Das Werk besitzt eine tiefe soziale und urbane Bedeutung. Wann wirkt die Größenebene eines Werkes sinnverändernd?
JF: Das Werk spielt mit Größenebene und Perspektive. Es handelt sich um ein Mosaik aus tausenden Fotos, die von den Einwohnern der Stadt Reggio Emilia eingesendet wurden. Die Fotos sind eher klein, gleich denen, die wir in Familienalben aufbewahren. Bilder, die wir gewöhnlich einzeln betrachten, wobei zwischen Betrachter und Bildinhalt ein intimes Verhältnis besteht. Das Format des Wandbildes ermöglicht hingegen die kollektive Betrachtung. Durch den Wechsel von der privaten in die öffentliche Dimension ergibt sich ein neuer Sinn. Das Projekt ist eigentlich ein Vorwand, um in Bildern vergegenständlichte Erlebnisse mit anderen zu teilen und so einen Gemeinschaftssinn, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Zeit und einem Ort zu erzeugen.Ich betrachte diese Art von Arbeit gern als „Dokument-Monument“. „Dokument“, weil sie eine Gesellschaft und eine Kultur durchleuchtet, „Monument“, weil sie das Vergehen der Zeit bezeugt. In wenigen Generationen wird „Curiosa Meravigliosa“ als eine kollektive Gedächtniskapsel wahrgenommen werden.
Ist es Ihre erste Erfahrung mit Digitaldruck auf Keramik? Was hat Sie an dieser Produktion überrascht und interessiert?
JF: Es ist nicht meine erste, sondern schon meine zweite Erfahrung. Ich habe bereits ein Wandbild mit einem Fotomosaik für die Rathausfassade in Gibellina in Sizilien geschaffen. Damals wählte ich als Motiv drei Augen der Ortseinwohner: das Auge eines Kindes, das Auge einer jungen Mutter und das Auge eines älteren Menschen. Diese drei Blicke aus verschiedenen Menschenaltern nehmen uns auf und katapultieren uns in die Zukunft. Das Neue in Reggio Emilia war, dass das Werk vertikal und im Einklang mit der Architektur von den Musei Civici angelegt ist.
Das Ganze war technisch sehr anspruchsvoll und verlangte die Mitwirkung von Architekten, Ingenieuren und Fachleuten. Wir hatten viel Arbeit und besonders aufgrund der Covid-Krise erheblichen Aufwand. Doch ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden.
Der Besuch des Werkes von Marazzi während der Produktion und des Druckes der Platten aus Feinsteinzeug gab mir Anregungen für neue, noch ehrgeizigere Projekte.
Welches Verhältnis haben Sie, als profunder Kenner der Bildkultur und ihrer Bedeutung, zu Material und Haptik?
JF: Wir leben in einer Phase, die ich postfotografisch nenne, die von einer Flut und absoluten Verfügbarkeit von Bildern gekennzeichnet ist und einen kritischen Umgang erfordert. Diese Bilder neigen wie die übrigen Elemente unserer Umwelt zur Entmaterialisierung. Einige Philosophen wie Byung-Chul sprechen vom Wuchern der Undinge. Digitalsphäre, Algorithmen und Metaversen lassen uns auf eine entfleischlichte, entdinglichte Welt zusteuern, die ungreifbar, unfest und gewichtslos ist. Diesem Horizont muss eine Strategie des Widerstands entgegensetzt werden, die auf die dinglichen Qualitäten setzt. Viele Funktionen beruhen bei der Fotografie beispielsweise auf dem Bild-Objekt-Zustand, der sich aus dem Bildträger ergibt. Deshalb ist für mich die Rückkehr zur Fotokeramik, einer Technik aus dem 19. Jahrhundert, wenngleich implementiert durch die heutige Technologie, von exemplarischem Wert.