Den bisher unveröffentlichten Fotografien aus der Zusammenarbeit zwischen Ghirri und Marazzi, die in den Archiven des italienischen Keramikherstellers aufbewahrt waren, werden ein Fotoband in limitierter Auflage, eine Wanderausstellung und eine Website gewidmet
„Die Zusammenarbeit mit Marazzi liegt genau auf der Mitte der künstlerischen Laufbahn von Ghirri“, schreibt Francesco Zanot, Kurator und Fotokritiker im Band „Luigi Ghirri. The Marazzi Years 1975-1985“. „Das gilt freilich aus chronologischer Sicht (die Zusammenarbeit beginnt 1975), doch auch inhaltlich in Bezug auf sprachliche und räumliche Aspekte. Ghirri selbst erwähnt es zwischen den Zeilen in dem kleinen Text, der sein Portfolio begleitet. „Die Keramik hat eine Geschichte, deren Ursprung sehr, sehr weit zurückliegt. Stets war sie ‚Objekt‘ und diente sie als Unterlage anderer Objekte: Möbel, Handlungen, Bilder, Schatten der Bewohner in den Räumen. Bei der Anfertigung dieser Bilder habe ich mich damit auseinandergesetzt und versucht, mit Hilfe von verschiedenfarbigen Flächen, durch die Überlagerung von Objekten und Bildern einen Raum zu rekonstruieren, der anstelle des physischen und messbaren Raums eines Zimmers die Idee vom Gedankenraum eines bestimmten Augenblicks… ist.“
Im Jahr 1975 setzte Luigi Ghirri zum ersten Mal seinen Fuß auf das Firmengelände von Marazzi. Er befand sich seinerzeit in einer Wachstums- und Experimentierphase, die 1979 mit seiner ersten großen Einzelausstellung in Parma ihren Gipfelpunkt erreichte. Marazzi war ein marktführendes Unternehmen der Fliesenbranche, das ein bahnbrechendes Patent für das Einbrandverfahren angemeldet hatte, Niederlassungen in Frankreich und Spanien unterhielt und seine Fliesen von Künstlern und Modedesignern gestalten ließ. In jenen Jahren hatte es auch eine Ideenwerkstatt namens Crogiòlo eröffnet, wo Künstler, Designer, Fotografen und Architekten frei experimentieren konnten.
Vor diesem Hintergrund traf die feinsinnige Poetik des Fotografen auf die Experimentierfreude des Unternehmens. Ergebnis dieser Begegnung ist das Fotoprojekt Marazzi Portfolio, das Keramik als Oberfläche und Gedankenraum, Verwandlungskünstler, Licht und Farbe begreift. Für die Arbeit am Projekt konnte Ghirri seine Kollegen John Batho, Cuchi White und Charles Traub hinzugewinnen, die gemeinsam mit ihm die neuen Patente und Kollektionen von Marazzi interpretierten.
Sechsundvierzig Jahre später werden die Früchte dieser Zusammenarbeit in dem Fotoband „Luigi Ghirri. The Marazzi Years 1975 – 1985“ vereint (Auszüge davon sind auf der Website www.ghirri.marazzi.it zu sehen). Er zeigt 30 ausgewählte Fotografien des Künstlers, die in seiner zehnjährigen Partnerschaft mit Marazzi entstanden und von Texten des Schriftstellers Cosimo Bizzarri und des Fotokritikers und Kurators Francesco Zanot begleitet werden.
Cosimo Bizzarri schreibt im Band: „Die Bilder, die Ghirri für Marazzi aufnahm, schlummerten jahrzehntelang in den Firmenarchiven. Viele davon wurden noch nie veröffentlicht. (…) Sie werden nun ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, erstmals vereint in einem Fotoband, als Zeugnis der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen einem visionären Unternehmen und einem Künstler, der seinen geometrischen und genialen, ironischen und durchdringenden Blick auch auf ein naturgemäß zweidimensionales Objekt zu richten wusste. Es gilt daher, diese Rückstände zu untersuchen, die Ergebnisse aufzuzeichnen und die Keramik abkühlen zu lassen. Dann wird der Schmelztiegel bereit sein für ein neues Experiment.“
Die Aufnahmen von Luigi Ghirri für Marazzi werden ab dem Herbst in einem europaweiten Ausstellungsprojekt gezeigt. Es beginnt symbolisch mit einer Fokusausstellung, deren Gegenstand das Sinnbild der ganzen Initiative ist und die in den Musei Civici in Reggio Emilia vom 21. Mai bis 4. Juli 2021 im Rahmen der Veranstaltung Fotografia Europea (www.fotografiaeuropea.it) zu sehen sein wird.
Infos: www.ghirri.marazzi.it
Luigi Ghirri The Marazzi Years 1975-1985
© Eredi Luigi Ghirri and Marazzi Group
Texte von Cosimo Bizzarri und Francesco Zanot
Art Direction Studio Blanco